von Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann*
Einleitung: Der scheinbar harmlose Schutzmechanismus
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Geschäftsführer in Erwartung eines Konflikts mit ihrer Gesellschaft beginnen, wichtige E-Mails an ihre privaten E-Mail-Adressen weiterzuleiten. Dies geschieht oft in der Absicht, sich Beweise für eine mögliche spätere Auseinandersetzung zu sichern. Was zunächst als Vorsichtsmaßnahme erscheint, kann jedoch gravierende rechtliche Konsequenzen haben. Ein aktuelles Urteil des OLG München (Urteil vom 31. Juli 2024, Az. 7 U 351/23) verdeutlicht dies in aller Schärfe und legt dar, warum diese Praxis sowohl datenschutzrechtlich als auch im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht problematisch ist.
Der Fall: Das Vorgehen des Geschäftsführers
Ein Geschäftsführer einer GmbH stand unter Verdacht, gegen seine Pflichten verstoßen zu haben. Um sich für mögliche rechtliche Auseinandersetzungen zu wappnen, entschied er, dienstliche E-Mails an seinen privaten E-Mail-Account weiterzuleiten. Diese E-Mails enthielten nicht nur vertrauliche Informationen, sondern auch personenbezogene Daten Dritter. Nachdem der Geschäftsführer abberufen wurde, entdeckte die Gesellschaft diese Weiterleitungen und entschloss sich, ihn fristlos zu kündigen, um den noch ausstehenden Vergütungsanspruch zu vermeiden. Dieser Fall führte zu einem Rechtsstreit, der schließlich vor dem OLG München landete.
Rechtliche Bewertung: Die zentralen Aspekte
1. Kündigungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB:
Das OLG München stellte klar, dass die zweiwöchige Kündigungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn das zur Kündigung berechtigte Organ (hier der Aufsichtsrat) vollständig oder zumindest mehrheitlich Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen erlangt hat. Diese Klarstellung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Kündigungsfrist nicht vorschnell beginnt und die Gesellschaft ausreichend Zeit hat, die Sachlage zu bewerten.
2. Verschwiegenheitspflicht und Datenschutzrecht:
Besonders heikel war die Frage, ob die Weiterleitung dienstlicher E-Mails an die private E-Mail-Adresse des Geschäftsführers eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht darstellt und ob dies datenschutzrechtliche Konsequenzen hat. Das OLG München erkannte zwar keine Verletzung der Geheimhaltungspflicht, stellte aber fest, dass die Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an eine private E-Mail-Adresse einen Datenschutzverstoß darstellt, wenn diese E-Mails personenbezogene Daten Dritter enthalten – was nahezu immer der Fall sein wird. Diese Feststellung könnte weitreichende Konsequenzen haben, denn in der Praxis ist das Weiterleiten von E-Mails an private Accounts weit verbreitet. Das Gericht argumentierte, dass die Kontrolle über personenbezogene Daten durch die Gesellschaft verloren geht, wenn diese nicht mehr auf unternehmenseigenen Servern gespeichert werden. Dies wiegt umso schwerer, da ein ehemaliger Geschäftsführer, der nicht mehr Organ der Gesellschaft ist, weiterhin Zugriff auf diese Daten haben könnte. Das Gericht entschied, dass solche Handlungen eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG) darstellen. Das Gericht lehnte eine Rechtfertigung durch Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO ab, da die Verarbeitung personenbezogener Daten ohne rechtmäßigen Grund erfolgte und somit einen unzulässigen Datenschutzverstoß darstellt (OLG München Rn. 68).
Wörtlich heißt es im Urteil: „Die Versendung geschäftlicher E-Mails an den privaten E-Mail-Account des Geschäftsführers stellt einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO dar, da die Verarbeitung personenbezogener Daten ohne rechtmäßigen Grund erfolgt und die Kontrolle über diese Daten durch die Gesellschaft verloren geht.“ Diese Aussage verdeutlicht, dass der Geschäftsführer nicht befugt war, personenbezogene Daten auf seinen privaten E-Mail-Account zu übertragen, da dies keinen gerechtfertigten Zweck im Sinne der DSGVO erfüllte.
3. Verhältnismäßigkeit der Kündigung:
Auch wenn ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt und die Kündigungsfrist eingehalten wurde, muss die Kündigung zudem verhältnismäßig sein. Das OLG München betonte die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung der Interessen beider Seiten. Es prüfte, ob weniger einschneidende Maßnahmen als die Kündigung in Betracht kamen. Letztlich kam es zu dem Schluss, dass die Kündigung das letzte Mittel (ultima ratio) darstellte, da die Gesellschaft durch das Verhalten des Geschäftsführers erheblich gefährdet wurde ( OLG München, Endurteil v. 31.07.2024 – 7 U 351/23 e; Endurteil v. 21.02.2024 – 7 U 2211/23 e).
4. Konsequenzen für Geschäftsführer und Unternehmen
Das Urteil des OLG München kam zu dem Schluss, dass die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführers wirksam ist. Für den betroffenen Geschäftsführer hatte dies dramatische Folgen: Trotz eines noch laufenden Vertrags verlor er von heute auf morgen alle Gehaltsansprüche, musste erhebliche Kosten für den verlorenen Rechtsstreit selbst tragen und sieht sich möglicherweise weiteren Haftungsprozessen ausgesetzt. Aus Sicht der Gesellschaft hingegen war die Entscheidung ein voller Erfolg: Ein vermeintlich geringfügiger Verstoß wurde genutzt, um einen unliebsamen Geschäftsführer zu entfernen.
Fazit: Ein ernstzunehmendes Compliance-Risiko
Dieses Urteil des OLG München sollte Geschäftsführer und Vorstände alarmieren: Die Weiterleitung von vertraulichen Firmen-E-Mails an private Accounts ist nicht nur ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht, sondern auch ein potenzieller Datenschutzverstoß mit weitreichenden Konsequenzen. Das Gericht machte deutlich, dass solche Handlungen rechtlich nicht durch Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt sind und daher unzulässig bleiben.
Das Urteil des OLG München wird voraussichtlich als Präzedenzfall dienen, um auch geringfügige Verstöße gegen Verschwiegenheitspflichten und insbesondere Datenschutzbestimmungen als außerordentlichen Kündigungsgrund zu nutzen. Geschäftsführer und Vorstände sollten sich dieser Gefahr bewusst sein und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Die Weiterleitung von dienstlichen E-Mails an private Accounts sollte streng vermieden werden, insbesondere wenn personenbezogene Daten involviert sind. Unternehmen wiederum können dieses Urteil als Chance sehen, um ihre Compliance-Richtlinien zu verschärfen und so ihre Position in potenziellen Konflikten mit Geschäftsführern zu stärken.
Dr. Marc Laukemann, als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, kann aus seinen umfangreichen Erfahrungen betonen, dass solche Verstöße nicht nur zu einer fristlosen Kündigung führen können, sondern auch potenziell strafrechtliche Folgen haben könnten, (siehe hierzu auch die Artikel unter JuraForum und LFR Law).
Dieses Urteil sollte als Warnung verstanden werden: Geschäftsführer müssen ihre Rolle als Treuhänder der ihnen anvertrauten Daten und Informationen ernst nehmen. Verstöße können nicht nur zu einer fristlosen Kündigung führen, sondern auch weitere rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die bis zur persönlichen Haftung reichen. Unternehmen sollten daher ihre internen Richtlinien und Compliance-Maßnahmen schärfen, um solche Risiken zu minimieren
* Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann ist Gründungspartner von LFR Wirtschaftsanwälte München, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie für gewerblichen Rechtsschutz, zertifizierter Wirtschaftsmediator (IHK) und systemischer Business Coach (IHK). Er ist Autor des in 3. Aufl. 2015 im Beck Verlag erschienen Buches Partnerschaftsgesellschaftsvertrag und berät seit über 20 Jahren Freiberufler bei Gesellschaftsgründung, Ausscheiden, Streitigkeiten und Liquidation.
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