Rechtsanwalt Jacobs: neuer Beitrag zum Thema GmbH-Geschäftsführer- und Sozialversicherungsrecht

Wie vermeide ich Haftungsrisiken bei der Beschäftigung freier Mitarbeiter und Leiharbeiter? – Mit Checkliste

 

Immer wieder versuchen Geschäftsleiter die sozialversicherungsrechtlichen Beiträge des Unternehmens zu minimieren, indem sie freie Mitarbeiter oder Leiharbeitnehmer beschäftigen. Dieses Vorgehen birgt jedoch erhebliche Risiken für das Unternehmen und den Geschäftsleiter selbst.

 

Welche Rechtslage ist zu beachten? Das deutsche Recht unterscheidet zwischen abhängig Beschäftigten und sonstigen, freien Beschäftigten.

Gegenüber abhängig Beschäftigten eines Unternehmens bestehen besondere Verpflichtungen. Im Normalfall handelt es sich um sozialversicherungsrechtlich Beschäftigte, für die Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind, und Arbeitnehmer, die besondere Schutzrechte wie Kündigungsschutz etc. genießen. Die Voraussetzungen sind zwar nicht identisch, praktisch kommt es jedoch häufig zu einem Gleichlauf, da es in beiden Fällen hauptsächlich auf eine Weisungsabhängigkeit und eine Eingliederung in den Betrieb des Unternehmens ankommt (für Sozialversicherungsrecht: § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV; für Arbeitnehmerstellung: BAG, Urteil v. 25.09.2013 – 10 AZR 282/12, juris).

Gegenüber selbständigen Auftragnehmern („freien Mitarbeitern“) und Leiharbeitnehmern bestehen diese Belastungen nicht.

Eine Tätigkeit als freier Mitarbeiter gilt als selbständig im Sinne des Gesetzes, wenn er ein eigenes Unternehmerrisiko trägt, über eine eigene Betriebsstätte verfügt, die eigene Arbeitskraft frei einteilen und seine Tätigkeit nach Ort und Zeit im Wesentlichen frei einteilen kann (BSG, Urteil v. 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R, DStR 2013, 770). Leiharbeitnehmer gelten bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen als bei dem Verleiher beschäftigt, der auch die Sozialversicherungsbeiträge abführen muss.

In beiden Fällen kann es jedoch schnell geschehen, dass unverhoffter Dinge eine abhängige Beschäftigung bei dem eigenen Unternehmen, also dem Auftraggeber oder dem Entleiher, entsteht. Freie Mitarbeiter gelten an erster Stelle als abhängig, wenn sie den Weisungen des Dienstherren unterliegen. Bei Diensten höherer Art kann aber auch eine die Beitragspflicht begründende Eingliederung in den Betrieb vorliegen, wenn die Tätigkeit relativfrei gestaltet werden kann (LSG Stuttgart, Urteil v. 29.09.2015 – L 11 R 2901/14, juris). Bei Leiharbeitnehmern führt das (unbemerkte) Fehlen der Überlassungserlaubnis (BSG, Urteil v. 29.06.2016 – B 12 R 8/14 R, juris) oder weitere gesetzlich geregelte Gründe zur Unwirksamkeit der Überlassung (§ 9 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)) und zum Entstehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher (§ 10 AÜG). Hier wird dann normalerweise auch eine für die Sozialversicherungspflicht ausreichende Weisungsabhängigkeit und/oder Eingliederung in den Betrieb vorliegen.

Welche Risiken drohen im Falle der Beschäftigung von tatsächlich sozialversicherungspflichtigen „freien Mitarbeitern“ oder Leiharbeitnehmern?

Entscheidet sich ein Geschäftsleiter auf freie Mitarbeiter oder Leiharbeitnehmer zurückzugreifen, schwingt stets die Gefahr mit, dass er tatsächlich abhängig beschäftigte Mitarbeiter einstellt. Dieser Zustand kann von allen Beteiligten lange Zeit unbemerkt bleiben. Es kann aber auch nach Jahren dazu kommen, dass eine Sozialversicherungspflicht und/oder ein Arbeitsverhältnis entstehen oder aufgedeckt werden.

Die Folgen können für das Unternehmen wirtschaftlich fatal sein:

–       Dem Unternehmen droht die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge für mindestens die letzten vier Jahre (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV),

–       bei Vorsatz (also bei Absicht und schon bei billigender Inkaufnahme) sogar bis zu 30 Jahre (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV)

–       bei Kenntnis zzgl. erheblicher Säumniszuschläge (1% pro Monat, § 24 SGB IV). Je nach Anzahl der betroffenen Mitarbeiter und der Lohnhöhe können die Forderungen schnell existenzgefährdende Ausmaße annehmen.

–       Sind wegen Zeitablaufs keine Sozialleistungen nachzuzahlen, kann der Beschäftigte womöglich Schadensersatzansprüche wegen Ausfällen bei der Altersrente geltend machen (LArbG Bremen, Urteil v. 21.02.2007 – 2 Sa 206/05, juris).

–       Das Unternehmen sieht sich mit wahrscheinlich ungewollten Arbeitnehmern konfrontiert, die sämtliche Arbeitnehmerrechte, insbes. Kündigungsschutzrechte, vielleicht sogar eine nachträgliche Aufstockung auf Tariflohn, geltend machen können.

–       Weiter droht die Nachforderung von Lohnsteuer. Hier können weitere erhebliche Belastungen entstehen.

Die Sozialleistungen können dem Beschäftigten nur in geringem Umfang zurückbelastet werden. Erlaubt ist nur ein Einbehalt beim Gehalt (bis zur Pfändungsfreigrenze) und dies bei (im Normalfall anzunehmender) Verantwortlichkeit des Unternehmens nur bei den drei folgenden Gehaltszahlungen (§ 28g SGB IV).

Bin ich dadurch geschützt, dass es bei Betriebsprüfungen bisher keine Beanstandungen gegeben  hat?

Ein Vertrauensschutz für die Vergangenheit kommt auch bei beanstandungsfreien Betriebsprüfungen nicht in Betracht (BSG, Urteil v. 30.10.2013 – B 12 AL 2/11 R, juris). Das ist ein in der Praxis weit verbreiteter Irrtum und führt häufig dazu, dass im Unternehmen erkannte tatsächlich sozialversicherungspflichtige Fälle nicht „repariert“ werden.

Inwieweit droht eine persönliche Haftung der Geschäftsleitung?

Der Geschäftsleiter, der diese Belastungen zu verantworten hat, wird regelmäßig persönlich gegenüber dem Unternehmen haften (§ 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 AktG). Wer gesetzliche Pflichten nicht beachtet, wozu insbesondere die Anmeldung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter gehört, verletzt seine Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung (sog. „Legalilitätspflicht“). Aufgrund dieses Sorgfaltsverstoßes unterstellen die Gerichte regelmäßig auch das für die Haftung notwendige Verschulden. Dem Geschäftsleiter droht darüber hinaus eine strafrechtliche Verurteilung wegen Unterlassens der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge (§ 266a StGB) und wegen Steuerverkürzung (§ 370 AO). Nach neuester Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, juris) liegt außerdem bei den meisten Verstößen gegen die dem Geschäftsleiter obliegenden Sorgfaltspflichten auch eine Untreue (§ 266 StGB) vor. Strafbar macht sich zwar nur derjenige, der auch vorsätzlich handelt, Die Gerichte unterstellen aber den Vorsatz schon dann, wenn der (zuständige?) Geschäftsleiter die Möglichkeit, Sozialversicherungsbeiträge nicht abzuführen, billigend in Kauf nimmt (sog. „bedingter Vorsatz“). Angesichts der immer strenger ausgelegten Prüfungs-, Organisations- und Überwachungspflichten ist diese Schwelle schnell überschritten. Wird Vorsatz angenommen, verschärft sich die Lage für den Geschäftsleiter erheblich: Die (D&O-)Haftpflichtversicherung deckt den Schaden dann nämlich nicht mehr ab. Ab einer Freiheitsstrafe von einem Jahr (auch zur Bewährung) darf er außerdem für fünf Jahre keinen Geschäftsführerposten mehr übernehmen.

Welche Möglichkeiten zur Absicherung bestehen?

Angesichts der immensen Risiken ist Geschäftsleitern, die den Einsatz von freien Mitarbeitern oder Leiharbeitnehmern erwägen, dringend zu empfehlen, mit höchster Vorsicht vorzugehen. Anzuraten ist Folgendes

  • Bei, besser noch vor Beginn der Tätigkeit des Mitarbeiters sind die Umstände der Beschäftigung genau zu prüfen.
  • Sollte der Geschäftsleiter nicht ausnahmsweise selbst über besondere arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Kenntnisse verfügen ist geradezu zwingend Rechtsrat bei entsprechend spezialisierten Beratern der eigenen Rechtsabteilung und/oder externen Kanzleien einzuholen.
  • Schon bei geringen Zweifeln ist es geboten, ein Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV) einzuleiten. Ergeht ein positiver, die Befreiung feststellender Bescheid entfaltet dieser grundsätzlich bis zu seinem Widerruf Rechtswirkung (§ 39 Abs. 2 SGB X).
  • Während der Tätigkeit sind die Umstände laufend zu überwachen. Ändern sich nämlich die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände entsteht die Sozialversicherungspflich nämlich unabhängig von früheren Bescheiden. Wenn Meldepflichten, hier insbesondere die Pflicht zur Meldung von Änderungen der Beitragspflicht (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB IV), verletzt wurden, ist sogar eine rückwirkende Änderung des Befreiungsbescheids möglich. Änderungen können selbstverständlich auch zum Entstehen eines Arbeitsverhältnisses führen. Es ist daher notwendig, dass der Geschäftsleiter für die Einrichtung eines Überwachungs- und Kontrollsystems sorgt und so die Einhaltung der Voraussetzungen der Selbständigkeit oder Leiharbeit auch während der Tätigkeitszeit sicherstellt (Compliance).

Fazit: Die Beschäftigung von freien Mitarbeitern stellt heute ein echtes Risiko für das Unternehmen und den verantwortlichen Geschäftsleiter dar. Fehler und bloße Unachtsamkeiten können zu enormen, bis hin zu existenzgefährdenden Belastungen für das Unternehmen führen. Dem Geschäftsleiter selbst drohen die persönliche Haftung und die Strafbarkeit wegen Untreue, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Steuerverkürzung. Absichern kann er sich nur durch höchste Vorsicht, frühzeitige Einholung von Rechtsrat und laufende genaue Überwachung.

Zur Sozialversicherungspflicht des Geschäftsleiters selbst verweisen wir auch auf unsere Beiträge https://www.anwalt.de/rechtstipps/sozialversicherungspflicht-des-gmbh-gesellschafter-geschaeftsfuehrers-trotz-stimmbindung_083929.html und https://www.anwalt.de/rechtstipps/strenge-massstaebe-fuer-die-sozialversicherungspflicht-des-gmbh-gesellschafter-geschaeftsfuehrers_079288.html.

Matthias Jacobs