AGB-Recht: Neue EuGH-Rechtsprechung sperrt Inlandsrecht – Verschärfte Folgen für unwirksame AGB

Stand März 2019

 

Das Demba-Urteil des EuGHs (zu Art. 6 der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG) erschüttert das innerdeutsche Verständnis von der rechtlichen Behandlung unwirksamer AGB-Klauseln und deren Folgen nachhaltig. Die konkreten Auswirkungen für B2C und B2B Geschäfte sind noch unklar, es lassen sich dennoch bereits jetzt weitreichende Folgen erahnen.  

In diesem Beitrag geht unser Partner sowie Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Dr. Ulrich Rösch und Rechtsanwältin Victoria Scherbarth, auf die Rechtslage sowie auf die Rechtsfolge von unwirksamen AGB’s ein, beleuchtet die Wichtigkeit zum Kleingedruckten und die Entscheidung zu Gunsten des Verbrauchers. 

Wo kommen wir her? – § 306 BGB im deutschen AGB-Recht 

 

Unwirksame AGB im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis (B2C)

 

  1. Europarechtlich bestätigt und gängige deutsche Rechtspraxis stellt das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von AGB dar. Dies bedeutet, dass unwirksame Klauseln nicht durch ihr wirksames Äquivalent ersetzt werden dürfen. Ursprung dieser Regelung ist – wie so oft – der wohl gemeinte Schutz des Verbrauchers. Beispielhaft soll dies an der Vertragsstrafe verdeutlich werden. Wird eine Vertragsstrafe von z.B. 15% der Auftragssumme oder höher vereinbart, hätte der AGB-Verwender ohne das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nicht mehr zu befürchten, als auf das zulässige Maß von 5% zurückzufallen. Das hieße, sein Risiko bei der bewussten Verwendung der unwirksamen Regelung wäre gering und die Hoffnung, einen unwissenden Verbraucher unzulässiger Weise zu horrenden Zahlungen zu bewegen, groß. Erst das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion sorgt dafür, dass die Klausel insgesamt unwirksam ist. 

     

  2. Im Zusammenhang mit diesem Grundsatz ist der Blue-Pencil-Test zu sehen. Bei Anwendung desselben ist gedanklich der unwirksame Teil eine Klausel oder eines Vertrages zu streichen und der verbleibende Text anschließend auf seine Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Folgt also eine wirksame Gewährleistungsbegrenzung auf eine Klausel, die einen unwirksamen Haftungsausschluss enthält, so teilt die Gewährleistungsbegrenzung in der Regel nicht das Schicksal der Haftungsklausel.

     

  3. In der Regel – und das bedeutet in diesem Fall, solange keine „unzumutbare Härte für eine Vertragspartei“ angenommen werden kann – greift nach Streichung einer unwirksamen Klausel das Gesetz, sofern dieses eine einschlägige Regelung vorsieht. D.h. wer innerhalb seiner AGB die Gewährleistungsfrist auf 2 Wochen herabsetzt, der hat im Zweifel eine Streichung der Klausel und die Geltung der gesetzlichen Regelungen, also eine Gewährleistungsfrist von 2 Jahren, zu befürchten.  

Unwirksame AGB im Unternehmer-Unternehmer-Verhältnis (B2B) 

 

 

Nach dem Gesetzeswortlaut gelten keine Einschränkungen. Die vorgehenden Regelungen für den Umgang mit unwirksamen Klauseln finden gleichermaßen im B2B-Verkehr Anwendung.  

 

Was ist neu? – Die europarechtlichen Auswirkungen des Demba-Urteils 

  

Unverbindlichkeit zugunsten des Verbrauchers 

 

Angriffspunkt der hier behandelten Demba-Entscheidung des EuGHs ist die aus unserer nationaljuristischen Sicht eigentlich unverfängliche Regelung, die unter Ziffer 1.a.iii. dargestellt wurde:  

Die Geltung des Gesetzes, sofern (infolge der Streichung einer unwirksamen Klausel) keine Regelung zwischen den Parteien vereinbart wurde.  

In einer gedanklichen Weiterbildung des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion wird nun jedoch im Rahmen des Art. 6 I RL 93/13/EWG eine ausgedehnte Unverbindlichkeit der Klauseln zugunsten des Verbrauchers proklamiert. 

Infolge dessen soll nationales, Lücken schließendes Recht ausschließlich dann zum Einsatz kommen, wenn andernfalls eine den Verbraucher beungünstigende Gesamtunwirksamkeit des gegenständlichen Vertrages die Folge wäre. In allen anderen Fällen gilt… nichts, d.h. nichts im Sinne eines ersatzlosen Wegfalls der in Frage stehenden Regelung. 

So wurde im vorliegenden Fall entschieden, dass statt der zwischen den Parteien im Rahmen eines Darlehensvertrages vereinbarten und aufgrund ihrer Höhe unwirksamen Verzugszinsen nicht etwa Verzugszinsen nach den gesetzlichen Bestimmungen verlangt werden können. Vielmehr kann der AGB-Verwender keine Verzugszinsen vom Verbraucher fordern. Ein weitreichender und wesentlicher Unterschied! 

Indizielle Übertragung der Unverbindlichkeit auf B2B-Geschäfte? 

 

 

Ob und inwieweit die europarechtlichen Vorgaben auch im Rahmen von B2B-Geschäften greifen, ist bisher ungeklärt.  

Die Begründung der Unverbindlichkeit unwirksamer Klauseln basiert auf dem europäischen Verbraucherrecht. Eine unterschiedliche Behandlung von B2B und B2C Geschäften ist im Hinblick darauf grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Angesichts der zu recht viel kritisierte, dennoch nach wie vor vom BGH unangetasteten Indizwirkung der §§ 308, 309 BGB ist eine Gleichbehandlung, die nicht zwischen Unternehmer – Verbraucher sondern Verwender und Nicht-Verwender unterscheidet, durchaus denkbar – wenn auch aus vertragsautonomen Gesichtspunkten nicht zwingend wünschenswert.  

Spätestens mit einer gesetzgeberischen Reform des § 306 BGB ist zu befürchten, dass eine strikte Anwendbarkeit für B2C und B2B manifestiert wird. Parallelen, die eine solche unterschiedslose Behandlung wahrscheinlich erscheinen lassen, finden sich in der Historie des seit 01.01.2018 in Kraft getretenen § 439 Abs. 3 BGB (Übernahme von Einbaukosten nach Ausbau einer mangelhaften Sache).  

An der rechtlichen wie wirtschaftlichen Umsetzbarkeit eines Unverbindlichkeitsproklamats im unternehmerischen Verkehr kann gezweifelt werden. Im Hinblick auf den Umgang mit den meisten der üblichen Standardklauseln, insbesondere Haftungs- und Gewährleistungsklauseln, sind die Problemfelder noch größtenteils unerschlossen. Hier bedarf es dringend der Konkretisierung.  

 

Was nun? – Fazit und Ausblick  

Die Unsicherheit angesichts dieser maßgeblichen Kehrtwende ist groß, klärende nationale Rechtsprechung bzgl. der unwirksamen Klauseln in den AGB’s  liegt noch nicht vor.  

Für den B2C-Bereich ist jedoch bereits jetzt klar: Wo früher ein Rückzug auf die Geltung des grundsätzlich als Interessen ausbalancierten Gesetztes angenommen wurde, herrscht nach dem Demba-Urteil die Furcht vor eine zukünftige gähnende Regelungs-Leere. Ein erneutes Umdenken des EuGHs kann nicht erwartet werden, da genau diese Abschreckung des Klauselverwenders vor der Benutzung unwirksamer Regelungen das verfolgte Ziel war.  

Es wird nun zunächst am Gesetzgeber sein, eine Anpassung der entsprechenden nationalen Regelungen vorzunehmen. Denn so viel kann gesagt werden, der aktuelle Wortlaut des § 306 Abs. 2 BGB widerspricht den europarechtlich vorgegebenen Grundsätzen, die im Demba-Urteil erstmals in dieser Härte bestätigt und konkretisiert wurden, diametral. Für eine bloße Auslegung der aktuellen Norm im Sinne der europarechtlichen Richtlinie ist mithin kein Raum.  

Hinsichtlich der Frage, ob sich die Klauselunverbindlichkeit auch auf den rein unternehmerischen B2B-Verkehr beziehen soll, kann eine Aufklärung nur durch weitere gerichtliche Entscheidungen sowie die richtlinienkonforme Reform des § 306 BGB erwartet werden. 

Bei der Verwendung von AGB gegenüber Verbrauchern ist Handlungsbedarf geboten. Ungewollte Regelungslücken können nur durch streng wirksam formulierte Klauseln vermieden werden. Aktuelle Inhalte der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (und dieser Begriff umfasst nach deutschem AGB-Recht nicht nur das klassische „Kleingedruckte“) sind daher zu überprüfen. Sollten bewusst an der Grenze zur Wirksamkeit formulierte Klauseln enthalten sein, empfiehlt sich eine Abwägung der Vorteile einer solchen bewusst vorgenommenen rechtlichen Abweichung und ihrer im Lichte der aktuellen EuGH-Entscheidung möglicherweise weitreichenden Folgen. Dies gilt natürlich in noch verstärktem Maße für versehentlich unwirksam formulierte AGB-Klauseln und damit unbekannte potentielle Regelungslücken.  

Gleiches gilt, wenn auch mit geringer Dringlichkeit, für den B2B-Bereich. Aufgrund der dargestellten aktuellen Unsicherheiten und den gleichzeitig möglicherweise massiv eingreifenden Folgen kann zu einem mindestens bewussten Umgang mit unwirksamen Klauseln nur geraten werden. 

Wie weit eine Unwirksamkeit durch die Verwendung konkreter Ersatzklauseln oder eine anderweitige Rechtswahl vermieden werden kann, ist im Einzelfall in beiden Bereichen, B2B sowie B2C, zu prüfen.  

Übrigens: Verschärft wird diese bereits brisante Situation dadurch, dass der EuGH in seinem ebenfalls aktuellen OTP Bank-Urteil eine Amtsermittlungspflicht der Gerichte hinsichtlich einer möglichen Missbräuchlichkeit (und damit Unwirksamkeit) von AGB-Klauseln sieht.  

 

Über den Autor

 

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Rösch ist Gründungspartner von LFR Wirtschaftsanwälte und berät seit über 20 Jahren u.a. Einkaufsabteilungen börsennotierter Konzerne aber auch zahlreiche mittelständische Unternehmer im internationalen Vertragsrecht. Er ist langjähriger Topreferent bei den Seminaranbietern Haufe und Management Circel und kommentiert u.a. das Werkvertragsrecht im Juris-Praxiskommentar  zum Zivilrecht in der mittlerweile 10. Aufl..